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Maverick Buying stellt auch heute noch viele Einkaufsabteilungen vor große Probleme; und das meist völlig unbemerkt. Wir haben mit Dr. Ulrich Piepel, ehem. CPO von RWE AG und innogy SE und heute Berater und Business Angel für digitalen Einkauf, über seine Sicht auf den “wilden Einkauf” gesprochen. Im zweiten Teil des Interviews gibt er uns nun auch tiefe Einblicke in seine Zeit als Einkaufsleiter mehrerer großer Konzerne und wagt mit uns einen Blick auf die zukünftigen Megatrends der Branche.
Im ersten Teil des Interviews haben wir mit Dr. Ulrich Piepel darüber gesprochen, wie sich Maverick Buying auch auf das Ansehen des Einkaufs innerhalb einer Firma auswirken kann. Nun möchten wir wissen, wie dies in der Praxis aussehen kann und mit dem entgegen gewirkt werden kann.
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Haben Sie an dieser Stelle vielleicht ein Beispiel aus der Praxis für uns?
Ich kann mich gut daran erinnern, dass in der Vergangenheit zum Beispiel das Thema Einkauf von Rechts- und auch Unternehmensberatung nicht Bestandteil des Einkaufsvolumens war. Es ist mir dann gelungen, den Vorstand davon zu überzeugen, diese beiden Warengruppen ebenfalls in die Verantwortung des Einkaufs zu übertragen. Als wir dann in der Anfangsphase mit Rechts- oder Unternehmensberatungen verhandelt haben, wurden wir teilweise gar nicht ernst genommen. Einfach weil diese Berater wussten: Was der Einkauf da in den Rahmenvertrag schreibt, das ist ohnehin bedeutungslos; das werden wir später mit dem Vorstand oder mit der Geschäftsführung ohne Einbindung des Einkaufs selbst verhandeln. Nur über klare Regeln und den professionellen Aufbau eines Einkaufsteams für diese Themen konnten wir diese Aufgabe dann erfolgreich und auch allgemein akzeptiert lösen.
Wie sind Sie dieses Problem zu Ihrer aktiven Zeit denn angegangen? Haben Sie da einen Tipp aus der Praxis?
Eine meiner ersten Aktivitäten, unter anderem bei RWE, war die Einführung einer unternehmensweiten Einkaufsrichtlinie. Diese wurde vom Einkauf in Kooperation und Abstimmung mit der Abteilung Unternehmensorganisation erstellt und dann vom Vorstand verabschiedet. Danach war diese Richtlinie dann für alle Fachbereiche und Mitarbeiter im Konzern und nicht nur für den Einkauf gültig. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt hatten wir als Einkauf einen Ordnungsrahmen, auf den wir alle Abteilungen im Konzern hinweisen konnten. Nach dem Motto: Schau mal hier, du verstößt gegen gültige Anweisungen im Konzern und spielst mit deinem Job.
An dieser Stelle wäre doch mal wieder Zeit für einen Polizei-Vergleich, oder?
Aber nur, weil es an dieser Stelle so gut passt. Nehmen wir mal an, die Polizei misst, ob sich alle Autofahrer an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Gleichzeitig hat sie aber keinen Ordnungsrahmen, also keine Straßenverkehrsordnung. Dann kann auch kein Bußgeld verhängt oder keine Maßnahme eingeleitet werden und jeder fährt eben so schnell, wie er will. Genau so ist das, wenn ich in meinem Unternehmen Maverick Buying messe, ohne eine Einkaufsrichtlinie zu haben. Ich kann es zwar aufdecken, aber es fehlt eben die Regelung innerhalb des Unternehmens.
Was würden Sie denn zu der These sagen, dass der CPO in einem Unternehmen mindestens auf Augenhöhe mit dem CFO oder dem COO stehen sollte?
In meinen Augen benötigt der CPO natürlich einen hohen Stellenwert im Konzern bzw. im Unternehmen. Allein schon aus dem Grund, dass bei vielen Unternehmen 50, 60, oder 70 % aller Gesamtkosten auf das Einkaufsvolumen entfallen. Dementsprechend hat der CPO also eine äußerst bedeutende Aufgabe und Funktion. Und eine derartig wichtige und auch komplexe Funktion ist auch entsprechend hierarchisch einzuordnen. Also entweder in der Geschäftsführung oder im Vorstand, oder aber sehr exponiert, mit Berichtsweg an den CEO. Denn als Einkaufschef mit seinen vielfältigen und potenziellen Herausforderungen benötigt man in jedem Unternehmen einen CEO oder einen Vorstand, der klar formuliert: Es gibt zentrale Funktionen in unserem Unternehmen wie den Einkauf und hier müssen auch alle Fachbereiche mit dem Einkauf entsprechend zusammenarbeiten.
Der Einkauf sollte in Ihren Augen also immer zentral aufgestellt werden?
Der Einkauf ist für mich eine Funktion, welche organisatorisch, jedoch nicht geografisch zentralisiert sein sollte. Die nachweisbaren Gründe dafür sind vielfältig. Zentrale Einkaufsorganisationen, das belegen auch viele zahlreiche Studien u.a. von Unternehmensberatungen, können eine deutlich höhere Performance nachweisen. Allerdings wird es jedoch auch bei höherer Performance durch eine Zentralisierung des Einkaufs immer Diskussionen mit den entsprechenden Länder- oder Regionalmanagern eines Unternehmens geben. Hier trifft man dann auf eine oftmals genannte Aussage beispielsweise von Geschäftsführern einer Landesgesellschaft des Unternehmens: Diese lautet: “Ich bin für das EBIT verantwortlich, dementsprechend muss ich auch für den Einkauf verantwortlich sein.”
Allerdings wird dabei vergessen, dass eine gut aufgestellte und zentrale Organisation des Einkaufs wesentlich bessere Ergebnisse für die Landesgesellschaft bewirken kann. Daher benötigt jedes Unternehmen einen starken Einkauf mit einem starken CPO, der in vielen Fällen auch in der Geschäftsführung selbst oder im Vorstand sein sollte. In der Automobilbranche oder im Handel ist das zum Beispiel fast immer der Fall, weil in diesen Branchen 80 bis 95 % der Gesamtkosten des Unternehmens auf den Einkauf entfallen. Aber auch bei geringeren Prozentsätzen ist eine derartige zentrale Organisation mehr als sinnvoll.
An wen sollte ein CPO denn im besten Fall berichten? Direkt an den CEO?
Ja, das halte ich für sinnvoll. Wenn der Einkauf nicht in der Geschäftsführung oder im Vorstand direkt vertreten ist, sollte der CPO an den CEO berichten, sodass man als Einkaufsleiter auch die notwendigen und in vielen Fällen beim Thema Einkauf unvermeidbaren Zielkonflikte erfolgreich lösen kann. Sonst schlägt sich der CFO oder der COO bei einer Konfliktsituation schnell auf die Seite des Fachbereichs und der Einkauf verliert in diesen Diskussionen laut meiner Erfahrung im Regelfall.
Wagen wir zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft: Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie derzeit im Einkauf als besonders relevant an?
Im Einkauf gibt es derzeit eine Vielzahl von Megatrends. Der erste Megatrend ist natürlich, dass der Einkauf - wie in fast alle Funktionen - deutlich mehr und intensiver digitalisiert wird. Und in den operativen Einkaufsprozessen bspw. existieren eine Fülle von Transaktionen, die man automatisieren oder digitalisieren kann und auch digitalisieren muss. Das fängt bei den ganz einfachen transaktionalen Themen im Einkauf an. Dazu zählen Ausschreibungen, Verhandlungen, elektronische Auktionen, Bestellabwicklungen, Datenaustausch mit Lieferanten, Rechnungswesen usw. Diese Themen sind nicht neu, aber sie sind in vielen Unternehmen und auch in großen Konzernen längst noch nicht konsequent und unternehmensweit umgesetzt worden.
Ich kenne beispielsweise große Konzerne, die erst in Zeiten von Covid-19 elektronische Unterschriften mit bspw. AdobeSign oder DocuSign eingeführt haben, weil die Mitarbeiter jetzt ja im Homeoffice waren. Man kann sich vorstellen, welchen manuellen Aufwand hunderttausende von Unterschriften, die ein Unternehmen bei Bestellungen und Rahmenverträgen leisten muss, im Einkauf erfordert. Zugleich kann man hier nur erahnen, wie bescheiden es bei den anderen, oftmals komplexeren Prozessen im Einkauf bei der Digitalisierung in der Praxis ausschaut.
Die Digitalisierung des Einkaufs ist natürlich in aller Munde. Welche Megatrends werden abgesehen davon die nächsten Jahre bestimmen?
Mindestens genauso wichtig wie die Digitalisierung ist das ganze Thema CO₂-Messung. Dabei geht es speziell um Emissionen im Scope 3, also um alles, was innerhalb der Lieferkette an CO₂ erzeugt wird; etwa durch Transporte, Produkte oder andere Dienstleistungen. Die SEC (US-Börsenaufsichtsbehörde) hat bspw. für alle S&P-500-Unternehmen festgelegt, dass sie seit dem 1.1.2023 alle Scope-3-Emissionen messen und offenlegen müssen. Und wer außer dem Einkauf soll das bitte messen? Der Chief Sustainability Officer kann das sicher nicht, weil das eine Sache ist, die auf der operativen Einkaufsebene festgelegt bzw. entschieden wird. Aber auch dafür benötigt man natürlich neuartige Softwarelösungen. Ich unterstütze bei diesem wichtigen Ansatz zum Beispiel das Unternehmen Carbmee, welches genau diese Emissionen in der Lieferkette offenlegt und in Zusammenarbeit mit den Lieferanten eines Unternehmens reduziert.
Warum wird es denn in Zukunft so wichtig, die CO₂-Emissionen in der Lieferkette offenzulegen?
Die Vermeidung von CO₂-Emissionen in der Lieferkette wird in meinen Augen zur vierten Dimension des Einkaufs werden. Das hängt natürlich primär mit den immer teurer werdenden CO₂-Zertifikaten zusammen, die zum Ausgleich der erzeugten CO₂-Emissionen gekauft werden müssen. Und selbst wenn nicht das eigene Unternehmen, sondern der Zulieferer die Emissionen verursacht, bezahlt das eigene Unternehmen dennoch indirekt den Preis für die CO₂-Zertifikate. Außerdem muss jedes Unternehmen natürlich auch eine ökologische und nachhaltige Akzeptanz bei allen Kunden aufbauen, um die Umsätze nicht zu gefährden oder sogar auszubauen, diesen wichtigen Zusammenhang sollte man in der heutigen Zeit nicht vernachlässigen.
Insofern sollte der Einkauf unbedingt in der Lage sein, die Scope-3-Emissionen zu messen; nicht zuletzt, weil im Schnitt ca. 85 % aller Emissionen eben genau in der Lieferkette entstehen. Allerdings hat sich der Einkauf bisher mit dieser Thematik in der Regel kaum auseinandergesetzt und hierzu kein Wissen aufgebaut. Der Einkauf hat natürlich Wissen über Preise, Lieferzeiten oder Produktqualitäten, aber eben aktuell nur minimal über CO₂-Emissionen und deren Kosten.
Alles klar, wir haben Digitalisierung und die Messung von CO₂-Emissionen in der Lieferkette. Gibt es noch weitere Megatrends am Horizont?
Ein weiterer Megatrend ist in meinen Augen das Thema ESG (Environmental, Social, Corporate Governance). ESG wird aktuell in vielen Ländern diskutiert und Gesetze hierzu werden erlassen, wie das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz. Gleiches passiert aktuell auf europäischer Ebene. Aber die Messung und Bewertung der ESG-Kriterien gestaltet sich an vielen Stellen noch komplexer als das etwa bei CO₂-Emissionen der Fall ist. Wie misst man bspw. Kinderarbeit oder Umweltschäden, die durch Lieferanten in der Lieferkette verursacht werden? In jedem Fall werden wir um dieses wichtige Thema nicht herumkommen, zumal Banken, Investoren und Ratingagenturen die Unternehmen heute nicht mehr nur nach Kreditwürdigkeit, sondern auch nach ESG-Kriterien beurteilen. Dementsprechend muss sich auch der Einkauf damit kurzfristig auseinandersetzen.
Aber es gibt hierzu auch Hilfestellung für den Einkauf, wie die Slave-Free Alliance. Dieses Unternehmen beschäftigt sich, wie der Name schon sagt, mit dem Thema Sklaverei in der Lieferkette und schaut, was in anderen Ländern auf der vierten oder fünften Lieferstufe eigentlich genau passiert. Das alte Sprichwort “Aus den Augen, aus dem Sinn” gilt ab sofort nicht mehr.
Das waren jetzt schon super wichtige Punkte. Ich sehe aber auch, dass Ihnen ein Thema noch unter den Fingern brennt. Welches ist das?
Wir haben in Europa und auch in vielen anderen Industrieländern nämlich alle ein gemeinsames Problem, und das ist das Problem der Demographie. Wir werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu wenig Personal für die vielfältigen Aufgaben der Zukunft haben. Viele sagen jetzt: Ja, das kann man mit Einwanderung lösen, aber diese muss dann auch strukturiert erfolgen. Denn ungesteuerte Einwanderung führt eben nicht dazu, dass alle Unternehmen diejenigen Mitarbeiter, die sie für die komplexen Aufgaben der Zukunft benötigen, auch bekommen. Und es sei die Frage erlaubt, ob wir als Deutschland für Talente aus aller Welt noch attraktiv genug sind hinsichtlich einer modernen und leistungsfähigen Verwaltung, hinsichtlich Steuergesetzgebung, hinsichtlich Infrastruktur, hinsichtlich Sicherheit und vieles mehr.
So, jetzt kommen wir aber wirklich zur letzten Frage: Welche praktischen Tipps haben Sie für alle Einkaufsleiter da draußen, damit sie das Jahr 2023 erfolgreich gestalten können?
Erfolge kommen oftmals aus mutigen und wegweisenden Entscheidungen. Und da ist mir der Einkauf in manchen Unternehmen einfach zu zögerlich, zu langsam und wenig mutig. Vielleicht liegt es daran, dass dem Einkauf in vielen Unternehmen einfach die Wertschätzung fehlt. Wenn der Vertrieb beispielsweise 20 % mehr Umsatz generiert, wird dies im Unternehmen von CEO und CFO unternehmensweit gefeiert. Wenn aber der Einkauf etwa 3 % Kosten einspart - und dies hat etwa den gleichen Ergebniseffekt auf den Unternehmensgewinn wie 20 % mehr Umsatz, bekommt das niemand so richtig mit. Da muss in meinen Augen ein ganz anderes Selbstbild und Bewusstsein her, und das muss vorrangig von den Einkaufsleitern vorgelebt werden.
Ich kenne zum Beispiel nicht wenige CPO’s, die sich sehr schwertun, eine Software eines Startups oder eine Digitalisierungslösung wie SCALUE einzuführen. Und es bedarf im Einkauf wegen seiner hohen Komplexität und Vielfalt einer Vielzahl von unterschiedlichen Digitalisierungslösungen, aber diese werden, wenn überhaupt, viel zu langsam und zu zögerlich eingesetzt. Der CPO rühmt sich oftmals damit, ein großes Einkaufsvolumen von zwei, fünf oder zehn Milliarden Euro zu verantworten, er schafft es aber nicht ein Budget von bspw. 50.000 € für eine digitale Lösung im Einkauf zu erstreiten; und das, obwohl diese Kosten im Vergleich zum Einkaufsvolumen nicht mal im Promillebereich liegen. Zudem sind nur mit digitalen Lösungen die zukünftigen Herausforderungen im Einkauf zu meistern. Und damit geht die Bedeutung des Einkaufs zwangsläufig einher.
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Ohne Mut ist Erfolg im Einkauf also nur schwer zu erzielen?
Definitiv, schließlich hat man die Kosten einer Investition im Einkauf meist im Handumdrehen wieder drin. Der Return on Investment liegt in vielen Fällen also nicht bei Jahren oder Monaten, sondern bei Wochen oder Tagen. Mein Appell an dieser Stelle lautet deshalb: Haben Sie als Einkaufsleiter den Mut, solche Investitionen zu tätigen und neue Wege in den Bereichen Digitalisierung, Personal, Organisation und Verantwortung zu gehen. Wenn ich als Einkauf ängstlich bin und es allen Leuten recht machen will, dann komme ich nie vorwärts. Und wenn ich als Einkaufsleiter der beliebte Kollege sein will, bin ich schlicht und ergreifend in der falschen Funktion. So einfach ist das.
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