January 5th, 2023 Interview mit Prof. Dr. Felix Reimann, WHU

Digitalisierung managen, CO₂-Emissionen reduzieren, Talente anwerben - der Einkauf steht aktuell vor diversen Herausforderungen. Zusammen mit Prof. Dr. Felix Reimann von der WHU blicken wir auf eben jene Trends im Procurement und stellen uns zudem die Frage: Welche Rolle spielt der Einkauf eigentlich an Elite-Universitäten wie der WHU?

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Professor Reimann, sie leiten an der WHU in Vallendar einen Lehrstuhl, der sich dezidiert mit dem Thema Procurement auseinandersetzt. Das ist schon etwas Besonderes, oder?

Also, um ganz genau zu sein, bin ich Professor für B2B-Verhandlungen und Beschaffung an der WHU und bin damit Inhaber einer von zwei Beschaffungslehrstühlen; und das ist allemal eine Besonderheit. An der WHU forsche und unterrichte ich zu Verhandlungen im Einkauf, insbesondere wie Verhandlungen zwischen Einkäufern und Lieferanten unter reellen Verhaltensaspekten ablaufen. Wir Menschen sind nämlich keine rationalen Maschinen, sondern Aspekte wie Vertrauen oder Persönlichkeiten haben auch einen großen Einfluss auf das Ergebnis von Zusammenarbeit. Und dieses Wissen gebe ich aktuell in allen Programmen der WHU, vom Bachelor bis zum MBA, in meinen Kursen an die Studierenden weiter.

Welche aktuellen Ergebnisse aus Ihrer Forschung können Sie denn mit uns teilen?

In unserem letzten Projekt haben wir uns der Frage gewidmet: Wenn ich mit Lieferanten verhandele, wie führe ich diese Verhandlung eigentlich am besten? Sollte ich mich eher darauf fokussieren, dass ich die Vorteile des Projektes für den Lieferanten darstelle? Oder sollte ich eher sehr klar meine eigenen Erwartungen kommunizieren? Und wenn man das einfach so salopp fragt, haben die meisten Leute hier eine Art natürliche Präferenz: Für manche sind Verhandlungen grundsätzlich eine Art als Tauziehen, wo sie “hart reingehen”. Und dann gibt es wieder andere, die sehen eine Verhandlung eher als einen kollaborative Wertschöpfungsprozess.

Was wir jedoch herausgefunden haben, ist, dass es ganz stark auf die Situation ankommt. Es ist mitnichten so, dass immer die eine oder die andere Variante gut ist. Stattdessen hängt es sehr von den gegebenen Machtkonstellationen ab. Sitzt etwa der Lieferant am längeren Hebel, ist ein kollaborativer Ansatz der Weg, der zu besseren Verhandlungsergebnissen führt. Wenn ich aber eine ausgeglichene Verhandlungsmacht habe oder gar selbst etwas stärker bin, dann ist diese Herangehensweise eher kontraproduktiv, weil ich die Gegenseite dann verwirre oder misstrauisch mache. In diesem Fall erwartet der Lieferant eher, dass ich mit einer gewissen Autorität in die Verhandlung gehe und reagiert auch entsprechend besser.

Das sind tatsächlich sehr spannende Insights. Welche Vorteile hat es denn aus Ihrer Sicht, jungen Studierenden ein solches Wissen im Bereich Procurement so früh wie möglich mit auf den Weg zu geben?

Also ich würde sagen, dass wir dem Thema Procurement und Verhandlungen einfach die Bedeutung einräumen, die angemessen ist. Wenn man sich mal ein Industrieunternehmen anschaut, fließen oftmals 50 % des Umsatzes in die Beschaffungskosten. Und bei vielen großen Unternehmen, gerade im Bereich Consumer Goods oder auch Automobil, sind es sogar an die 70 %. Nehmen wir mal eine Flasche Duschgel. Der Hersteller bekommt für den Verkauf dieser Flasche einen Euro, wovon 70 Cent direkt weiter an die Lieferanten gehen. Wenn man sich jetzt mal überlegt, dass es zahlreiche BWL Studiengänge gibt, wo das ganze Thema Beschaffung überhaupt nicht vorkommt, dann ist das doch absurd. Schließlich ist der Einkauf ein riesiger Teil meiner Wertschöpfung.

Was spricht aus Ihrer Sicht sonst noch für eine stärkere Bildung im Bereich Einkauf?

Ich finde, dass man in den vergangenen Jahren ganz stark gesehen hat, dass die größten operativen Risiken in der Lieferkette schlummern. Die Verwerfungen durch den Krieg in der Ukraine, aber auch Lockdowns in China oder die Blockade von Seewegen; all das kann schnell katastrophale Folgen haben. Und wenn ich das nicht adäquat manage und keine Transparenz in meinem Unternehmen habe, bin ich eben aufgeschmissen. Hinzu kommt noch das ganze Thema Nachhaltigkeit und der CO₂-Fußabdruck meines Unternehmens. Bei den meisten Unternehmen, abgesehen von der Schwerindustrie, ist der große Hebel in diesem Bereich nämlich die Lieferkette, die eben oftmals im Ausland liegt und deshalb gar nicht richtig erfasst wird. Wenn ich es aber ernst meine mit der Reduzierung meines Fußabdrucks, dann muss ich auch meine Lieferkette im Blick haben. Und dafür benötige ich eben maximale Transparenz.

Sie sprechen hier von den verschiedenen Scopes, über die CO₂-Emissionen gemessen werden können, oder?

Genau. Mit Scope eins sind dabei die Emissionen durch die eigenen Operations des Unternehmens gemeint, mit Scope 2 der Energiebedarf und mit Scope drei die Lieferkette. Übrigens gilt in Deutschland seit diesem Jahr ein neues Gesetz, was große Unternehmen über 3000 Mitarbeiter dazu verpflichtet, Sozial- und Umweltaspekte der eigenen Lieferanten systematisch zu adressieren. Dieses deutsche Gesetz ist, ich sage mal, noch relativ handhabbar für Unternehmen. Gleichzeitig ist auf EU-Ebene aber ein Gesetz unterwegs, was noch mal deutlich anspruchsvoller werden wird. Und da ist es in der Tat so, dass Unternehmen hier jetzt aktiv werden müssen. Sonst handeln sie sich erheblich finanzielle Risiken ein.

Jetzt kommen an die WHU sicher nicht allzu viele Studierende, die von Anfang an einer Karriere im Einkauf entgegenstreben. Wie wird das ganze Thema Procurement und Verhandlungen denn von Ihren Studierenden aufgenommen?

Es ist in der Tat so, dass viele Studierende erst mal mit einem Fragezeichen in die erste Veranstaltung kommen und sich denken: Ist das jetzt wirklich das Thema, was mich hier im Kern interessiert? Das Schöne ist aber, dass sich das relativ schnell ändert. Das liegt übrigens auch daran, dass die Vorstellung vom Einkauf vor der Veranstaltung eben eine sehr administrative ist. Und diese Vorstellung ist natürlich grundfalsch und teils hochgradig gefährlich.

Unser Ziel in der Ausbildung ist dabei übrigens nicht, dass all unsere Studenten am Ende des Tages in der Einkaufsabteilung landen. Vielmehr versuchen wir, ein grundlegendes Verständnis für die Funktion und die Werthebel des Einkaufs zu schaffen. Denn selbst als CFO wird man zwangsläufig mit dem Einkauf in Berührung kommen. Nicht zuletzt, weil dieser in Unternehmen oftmals unter dem CFO aufgehängt wird.

Gehen wir einmal über zu den digitalen Lösungen im Procurement. Welche Rolle spielen diese aus Ihrer Sicht in der modernen Einkaufswelt?

Das ganze Thema Digitalisierung ist aus meiner Sicht eine notwendige Entwicklung, die in Zukunft noch viel wichtiger werden wird. Natürlich gibt es heute schon wirklich ausgezeichnete digitale Lösungen und Systeme, aber da wird sich sicher noch viel weiterentwickeln. Leider ist es aber auch so, dass in vielen Unternehmen die aktuelle Systemlandschaft im Einkauf immer noch weder besonders gut noch besonders leistungsstark ist. Daraus folgt, dass auch relativ einfache Fragen im Einkauf schwierig zu beantworten sind, etwa: Wer sind eigentlich unsere größten Lieferanten, gemessen an dem Geld, was wir bei ihnen ausgeben? Oder aus welchen Ländern kommen eigentlich unsere Materialien?

Aber auch da werden aktuell große Fortschritte gemacht; gerade, was die Verfügbarkeit von Daten und die Aufmerksamkeit auf Daten betrifft. Und wenn ich diese Transparenz erst einmal habe, kann ich meinen Einkauf natürlich auch ganz anders optimieren. Ich kann beispielsweise sehen, wo Auffälligkeiten oder abweichende Preise sind oder wo Risiken in der Lieferkette liegen. Und all das wird eben erst dadurch ermöglicht, dass ich diese neue, moderne Systemlandschaft habe.

Aber woran liegt das Ihrer Meinung nach, dass die Systemlandschaft in Deutschland noch so hinterherhinkt?

Das liegt zum einen daran, dass man einfach über die Zeit organisch gewachsene Systeme hat, die schlecht integriert und teilweise auch schlecht gepflegt sind. Da hat man teilweise Datensätze, bei denen der gleiche Lieferant unter fünf verschiedenen Namen im System zu finden ist. Es liegt aber auch daran, dass manche Unternehmen über Jahre hinweg zu wenig in den Einkauf investiert haben, sowohl was das Personal als auch digitale Lösungen angeht. Man dachte einfach, dass das schon so klappen würde. Durch die starken Risiken in jüngster Zeit ändert sich das gerade spürbar, aber es muss natürlich auch eine langfristige Entwicklung erkennbar sein. Nicht nur jetzt, wo es gerade mal brennt.

Jetzt haben Sie das Stichwort Personal schon angesprochen. Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass es im Einkauf an gutem, vielleicht auch digital affinen Nachwuchspersonal mangelt?

Also es gibt natürlich Unternehmen, die enorm gute Leute im Einkauf haben. Aber es gibt auch Unternehmen, die sich damit schwertun. Und es ist sicherlich auch so, dass junge, hochgradig qualifizierte IT-Experten aktuell nicht als Erstes denken: Ich gehe jetzt in die Einkaufsabteilung eines deutschen Mittelständlers, das ist auch völlig klar. An der Stelle muss der Einkauf und das gesamte Umfeld einfach auch attraktiver werden, und ein Teil dessen können und müssen auch mehr digitale Lösungen sein.

Aber einfach nur digitale Lösungen einzusetzen, wird nicht reichen, oder? Das Personal muss auch wissen, wie es mit der Software umzugehen hat.

Absolut, sonst bin ich der Software sozusagen ausgeliefert. All die Daten im Einkauf müssen auch richtig genutzt werden, dementsprechend muss an dieser Stelle viel investiert werden; Stichwort Schulungen und Ausbildung. Aber wie zuvor erwähnt: Wenn ich daran denke, dass gut 50 % meines Umsatzes für Lieferkosten draufgehen, ist das vielleicht auch ein Bereich, wo sich das Investment mehr als lohnt.

Sieht das Management deutscher Mittelständler das denn auch so?

Wenn man Manager anspricht, die aktuell einen Turnaround machen, weil es der Firma finanziell schlecht geht, hört man häufig eine Sache: Ich muss überall Personal abbauen; nur in einer Abteilung wird das Personal aktuell noch aufgestockt - und zwar im Einkauf. Denn die holen das, was ich ihnen bezahle, durch gute Verhandlungen mit Lieferanten um ein Vielfaches wieder rein. Und zwar sofort.

Welche Trends und Entwicklungen beobachten Sie derzeit im Procurement, die Digitalisierung einmal ausgenommen?

Jetzt ganz akut ist Risikomanagement eine Sache, die vieles überlagert. Daran kommt man gerade eigentlich nicht vorbei. Und längerfristig sehen wir das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere CO₂-Vermeidung, als eine Sache, die enorm an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewinnen wird. Die Erwartung ist im Allgemeinen, dass wir in Zukunft auch in der Lieferkette immer weniger in der Lage sein werden, einfach so CO₂ zu produzieren, sondern dass diese Emissionen immer stärker mit Kosten verbunden sein werden. Ich muss also schon in absehbarer Zeit in der Lage sein, dieses Problem zu adressieren.

Sehen Sie die betroffenen Unternehmen eigentlich ausreichend gerüstet für diese neue Herausforderung?

Unterschiedlich, ich sehe da wirklich eine große Heterogenität bei den gegebenen Voraussetzungen. Das Kernproblem ist, dass viele Unternehmen lange Zeit systematisch zu wenig in ihre Einkaufsfähigkeiten investiert haben. Und wenn dieses Gesetz jetzt ein Anstoß ist, zu schauen, ob mein Einkauf überhaupt meinen Vorstellungen entspricht, dann kann das für viele Unternehmen ein echter Gewinn sein. Denn wenn ich nicht weiß, wer meine Lieferanten sind, ist das immer ein enormes Risiko. Nicht nur in Bezug auf Arbeitsbedingungen und die Umwelt, sondern auch mit Blick auf die Anfälligkeit meiner Lieferkette.

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Zu guter Letzt: Haben Sie für unsere Leserinnen und Leser noch ein paar Hands-on-Tipps für die Optimierung ihrer Einkaufsabteilungen?

Also ich würde der Geschäftsführung wirklich dringend empfehlen, Einkauf zur Chefsache zu machen; und das nicht nur, wenn der Laden gerade einmal brennt. Das kann damit anfangen, dass man einfach mal zum Einkauf geht und Fragen stellt: Wer sind denn unsere wichtigsten Lieferanten? Aus welchen Ländern beziehen wir welche Waren? Bei welchen Lieferanten bestehen die größten Risiken? Welche Lieferanten haben das größte Innovationspotenzial, und wie nutzen wir das? Wenn diese Frage nicht beantwortet werden kann, muss ich schleunigst etwas ändern, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Eine andere Sache, die auch wirklich sehr erhellend sein kann, ist selbstkritisch zu fragen: Welchen Ruf hat meine Einkaufsabteilung eigentlich in anderen Bereichen des Unternehmens? Werden wir dort als wirtschaftlicher Treiber oder eher als bürokratischer Hemmschuh bei der Umsetzung eines Projekts angesehen? Wenn man diese Fragen ehrlich beantwortet und Prozesse entsprechend optimiert, kann der Einkauf in kürzester Zeit zu einem wertvollen Mitspieler werden.




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